Warum die Herkunft bei Seezunge so wichtig ist
Wenn ihr beim Fischhändler oder im Supermarkt nach Seezunge greift, denkt ihr wahrscheinlich an den edlen Fisch aus der Nordsee. Doch die Realität sieht oft ganz anders aus. Die geografische Herkunft von Seezunge entscheidet nämlich nicht nur über den Geschmack, sondern auch über Fangmethoden, Umweltbelastungen, Transportwege und letztlich die Qualität auf eurem Teller. Eine echte Seezunge aus der Nordsee unterscheidet sich massiv von Exemplaren aus anderen Regionen. Das Problem dabei ist erschreckend simpel: Die Kennzeichnungspflicht wird zwar formal erfüllt, verschleiert aber geschickt die tatsächliche Herkunft. Großzügige Angaben wie „Atlantischer Ozean“ sind rechtlich völlig in Ordnung, sagen aber praktisch gar nichts aus.
Das erschreckende Ausmaß der Falschdeklaration
Die Zahlen sind alarmierend und sollten jeden Fischliebhaber aufhorchen lassen. Bei einer Stichprobe des ZDF-Verbrauchermagazins WISO aus dem Jahr 2012 in Sachsen-Anhalt stellte sich heraus, dass von 19 Fischgerichten, die als Seezunge deklariert waren, nur gerade mal 4 echte Seezungen waren. Das sind mickrige 21 Prozent. Die übrigen Gaststätten servierten stattdessen Seelachs, Rotzunge oder Pangasius und kassierten dafür den Preis für einen Edelfisch. In Baden-Württemberg sah es nicht besser aus: Von 26 untersuchten Gerichten waren nur 7 tatsächlich echte Seezungen. Das entspricht einer Falschdeklarationsrate von 73 Prozent. Wissenschaftliche Analysen der Untersuchungsämter bestätigen diese Dimension und kommen auf Werte zwischen 59 und 64 Prozent falscher Deklarationen bei Seezunge.
Die raffinierten Tricks bei der Herkunftskennzeichnung
Die Methoden zur Verschleierung der wahren Herkunft sind vielfältig und bewegen sich oft in legalen Grauzonen. Ein besonders beliebter Trick besteht darin, dass Fische in einem Land gefangen, in einem zweiten verarbeitet und in einem dritten verpackt werden. Welche Information dann auf dem Etikett landet, hängt von juristischen Feinheiten ab, die für normale Verbraucher kaum durchschaubar sind. Wenn auf der Verpackung „hergestellt in“ oder „verarbeitet in“ steht, bezieht sich das nämlich nicht auf den Fangort. Eine in Polen verarbeitete Seezunge kann problemlos aus dem Indischen Ozean stammen. Viele Käufer nehmen instinktiv an, der Fisch käme aus europäischen Gewässern, fallen damit aber auf eine irreführende Formulierung herein.
Vage Fanggebietsangaben verschleiern die Wahrheit
Die FAO-Fanggebiete sind oft so großflächig definiert, dass sie wenig konkrete Information liefern. Das Fanggebiet 27 umfasst beispielsweise den gesamten Nordostatlantik von der norwegischen Küste bis zur portugiesischen Atlantikküste. Innerhalb dieser riesigen Zone variieren Wasserqualität, Überfischung und Umweltbelastungen erheblich. Trotzdem ist die Angabe rechtlich vollkommen ausreichend. Besonders problematisch wird es bei Artenverwechslungen und Namensspielen. Während „echte Seezunge“ ausschließlich die Art Solea solea bezeichnet, gibt es verwandte Arten wie Rotzunge, Zwergzunge oder Lammzunge, die unter regionalen Bezeichnungen angeboten werden. Diese sind biologisch und qualitativ deutlich unterschiedlich, werden aber teilweise bewusst irreführend benannt.
So erkennt ihr die tatsächliche Herkunft
Trotz aller Verschleierungstaktiken gibt es Möglichkeiten, der wahren Herkunft auf die Spur zu kommen. Es erfordert allerdings etwas Detektivarbeit und Wissen über die rechtlichen Kennzeichnungspflichten. Seit dem 13. Dezember 2014 müssen Fischprodukte in der EU bestimmte Informationen tragen. Die EU-Verordnung 1379/2013 schreibt vor, dass der wissenschaftliche Name, das Fanggebiet und die Produktionsmethode auf dem Etikett erscheinen müssen. Nur „Solea solea“ ist die echte Seezunge. Andere wissenschaftliche Bezeichnungen weisen auf verwandte, aber andere Arten hin. Je präziser das Fanggebiet angegeben ist, desto besser. „Nordsee“ ist deutlich aussagekräftiger als „Nordostatlantik“.
Farbe und Aussehen als Hinweise nutzen
Frische Seezunge aus nahen Gewässern zeigt bestimmte Merkmale, die bei weit gereisten oder lang gelagerten Exemplaren fehlen. Die Haut sollte eine charakteristische Pigmentierung aufweisen, das Fleisch fest und glänzend sein. Ein muffiger Geruch oder gräuliche Verfärbungen deuten auf lange Transportwege oder unsachgemäße Lagerung hin. Auch der Preis ist ein wichtiger Indikator. Echte Seezunge aus europäischen Gewässern kostet mindestens 25 Euro pro Kilogramm im Einkauf und gehört zu den teuersten Speisefischen in Deutschland. Wenn ein Angebot deutlich unter diesem Niveau liegt, solltet ihr skeptisch werden. Hier handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine andere Fischart oder um importierte Ware aus Regionen mit niedrigeren Produktionskosten.

Frischetheke versus Tiefkühlprodukt
An der Frischetheke habt ihr grundsätzlich bessere Chancen, konkrete Informationen zu erhalten. Das Personal ist verpflichtet, die Kennzeichnungsinformationen bereitzustellen, die auf dem ursprünglichen Produktetikett vorgesehen sind. Bei verpackten Tiefkühlprodukten seid ihr hingegen auf die Etikettenangaben angewiesen. Ein häufiges Missverständnis dabei: „Frisch“ bedeutet nicht automatisch „regional“. Auch an der Frischetheke kann Ware liegen, die bereits eine lange Reise hinter sich hat, aber nie eingefroren wurde. Fragt deshalb konkret nach dem Fangdatum und dem Anlandehafen. Händler, die transparent arbeiten, können diese Fragen problemlos beantworten.
Die Rolle von Siegeln und Zertifikaten
Verschiedene Siegel versprechen Nachhaltigkeit und Transparenz, doch auch hier lohnt sich ein genauer Blick. Nicht jedes Siegel garantiert eine transparente Herkunftskennzeichnung. Manche Zertifizierungen konzentrieren sich primär auf ökologische Fangmethoden, sagen aber wenig über die geografische Herkunft aus. Informiert euch darüber, welche Standards ein Siegel tatsächlich garantiert. Die Kriterien variieren erheblich, und manche Labels sind deutlich aussagekräftiger als andere. Ein schönes Logo auf der Verpackung ist keine Garantie für echte Transparenz.
Wo echte Seezunge tatsächlich herkommt
Die echte Seezunge Solea solea kommt in der Nordsee, im Ärmelkanal und im Mittelmeer vor, sowie entlang der Ostatlantikküste. Besonders hochwertige Exemplare stammen aus den Gewässern vor der Normandie. Diese geografische Eingrenzung hilft euch, plausible von unplausiblen Herkunftsangaben zu unterscheiden. Wenn auf einem Produkt eine Herkunft aus dem Pazifik oder Indischen Ozean angegeben ist, handelt es sich definitiv nicht um Solea solea, sondern um eine verwandte Art. Das Problem der Falschetikettierung ist übrigens international bekannt und wird unter dem Begriff Falschetikettierung von Meeresfrüchten wissenschaftlich untersucht.
Was ihr konkret beim Einkauf tun könnt
Werdet zu kritischen Verbrauchern. Stellt Fragen, verlangt präzise Auskünfte und lasst euch nicht mit vagen Antworten abspeisen. Je mehr Konsumenten Transparenz einfordern, desto größer wird der Druck auf Händler und Hersteller. Dokumentiert Etiketten durch Fotos und recherchiert zu Hause in Ruhe. Prüft den wissenschaftlichen Namen, denn nur „Solea solea“ garantiert echte Seezunge. Fordert Transparenz ein, denn Händler, die mit offenen Karten spielen, verdienen euer Vertrauen. Bevorzugt regionale Anbieter, denn küstennahe Fischhändler haben oft direktere Lieferketten. Seid preisbewusst und misstraut Angeboten deutlich unter 25 Euro pro Kilogramm.
Der Blick über den Tellerrand
Die Verschleierung der Herkunft betrifft nicht nur Seezunge, sondern zahlreiche Fischarten. Das Bewusstsein für diese Problematik ist der erste Schritt zu einer informierteren Kaufentscheidung. Als Verbraucher habt ihr mehr Macht, als ihr vielleicht denkt. Durch euer Kaufverhalten beeinflusst ihr Handelsströme und setzt Standards. Die dokumentierten Falschdeklarationsraten von über 70 Prozent zeigen deutlich, dass hier kein Einzelfallproblem vorliegt, sondern ein systematisches. Nur konsequente Nachfrage und kritisches Hinterfragen können langfristig zu mehr Transparenz führen. Bleibt wachsam, informiert euch gründlich und lasst euch nicht von schönen Verpackungen täuschen. Die Wahrheit liegt im Detail der Kennzeichnung, und die gesetzlichen Vorgaben geben euch das Recht, diese Informationen einzufordern und zu überprüfen.
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